Kochen mit Köpfchen
So schmeckt die Kindheit
Essen ist Erinnerung. Der Kaugummi mit Kirschgeschmack, der warme Apfelstrudel oder ganze banal ein Paar Frankfurter. Einmal hineingebissen und fühlen uns sofort gut. Denn so schmeckt die Kindheit.
“Wenn ich heute Apfelstrudel esse, denke ich immer an meine Oma am Berg. Wie sie am Küchentisch diese kleinen Äpfel vom Hausbaum geschnippelt hat. Wie sie dann am großen Tisch in der Stube den Strudelteig gezogen hat “– für mich als Kind ein Phänomen. Er war durchsichtig und trotzdem ohne Löcher und hatte ein ganz speziellen teigigen, leicht säuerlichen Geruch, den ich unter tausenden wiedererkennen würde. Oma war so unglaublich geschickt dabei. Beim Strudelziehen durften wir Kinder immer helfen, darauf waren wir auch mächtig stolz.
Obwohl wir, noch nicht ganz so erfahren, das eine oder andere Loch fabriziert haben. Oma war das immer egal. Sie wurde nie ungeduldig mit uns. Und dann der Geruch des warmen Apfelstrudels, der aus dem mit Holzscheiten befeuerten Bauernofen durchs ganze Haus zog. Noch heute bekomme ich bei diesem Geruch einen Kindheits-Flashback und weiß ganz genau so schmeckt die Kindheit.
Die Erinnerung auf der Zunge
Geschmäcker und Gerüche sind unser zweites Gedächtnis. Warum? Weil der Geschmack in der Kindheit geprägt wird und mit Emotionen und Erinnerungen verbunden wird. Meine Kindheit schmeckt nach Apfelstrudel, Schweinsbraten, gut belegten Jausenbroten, frisch vom Baum gepflückten Äpfeln, Gulasch, selbst gemachtem Holler- und Zitronenmelissensirup und Hühnersuppe mit Frittaten. Ein typischer Fall des Proust-Phänomens.
Zwei Psychologen prägten den Begriff in Anlehnung an eine Szene aus Marcel Proust Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. In dieser erinnert sich der Protagonist plötzlich an seine Kindheit, als er ein in Lindenblütentee getauchtes Stück Madeleine verspeist. „Mit einem Mal war die Erinnerung da.“ Wissenschaftlich gesehen sind dafür die Geschmackssinneszellen auf unserer Zunge verantwortlich, die das Ess-Erlebnis als Erinnerung an unser Hirn weiterleiten. Untrennbar damit verbunden ist der Geruchssinn, ohne den wir nämlich gar nichts schmecken können. Jede Geschmackserinnerung ist somit ein komplexes Muster, bei dem sogar das Gefühl des Essens auf der Zunge mitabgespeichert ist.
Die 80er – Jahrzehnt der Käseigel
Ich bin ein Kind der 80er und 90er. Auf den Kindergeburtstagen spielten wir Schokoschneiden, angelten Äpfel mit dem Mund aus Wasserwannen und veranstalteten Schwedenbomben-Wettessen, ohne dafür die Hände zu benutzen. Als Torte gab es in den 80ern natürlich den Klassiker: Kalter Hund. Optisch spektakulär, weil so schön abwechselnd weiß-braun geschichtet, in der Herstellung dafür relativ einfach. Alle Mamas füllten dafür einfach abwechselnd Butterkekse und Kakao-Kokosfett-Creme in eine Kastenform – fertig! Und natürlich: der obligatorische Käseigel durfte auf keiner Party fehlen.
Käsewürfel und Trauben akkurat auf Zahnstochern aufgespießt und in eine halbe, mit Alufolie umwickelte Wassermelone gesteckt. Abenteuerlustige spießten noch Silberzwiebeln und Oliven zusätzlich auf. Überhaupt war Essen in Igelform in den 80ern der Renner. Was für die einen der Käse-, war für die anderen der Mettigel. Richtig stachelig wurde die Mettkugel durch die hineingesteckten Zwiebelstreifen. Daneben gab’s Räucherlachs auf Kartoffelpuffern und Nudelsalat. Mit richtig viel Mayonnaise als Geheimzutat.
Die 70er – Spargelröllchen müssen sein
Fairerweise muss man sagen, dass der Mettigel eigentlich schon in den 70ern aufkam, sich aber beinahe zwei Jahrzehnte hielt. Und was aßen die Kids der 70er neben Tieren aus Schweinehack noch? Auf jeden Fall Schwedenbombenbrötchen (die es übrigens auch noch in den 2000ern bei diversen Schulbuffets zu erstehen gab). Schwedenbombe in eine Semmel legen und einmal zusammendrücken bitte. Soooo gut!
Apropos süßer Brotbelag: In den 70ern streuten Mamas ihren Sprößlingen bedenkenlos auch gerne mal Zucker aufs Butterbrot. Die Fusion von pikant und süß verdanken wir ebenfalls diesem Jahrzehnt. Ein Hoch auf den Toast Hawaii mit Ananas! Sonst noch on top: Krabbencocktail (natürlich stilecht im Cocktailglas serviert), russische Eier und nicht zu vergessen die Schinken-Spargel-Röllchen. Heiligabend gab es DAS Weihnachtsessen schlechthin, Fleischfondue in viel Öl herausgebrutzelt.
Die 90er – einmal Wackelpudding, bitte!
Fleischfondue mit viiiieeel Öl gehörte auch noch in den 90ern zu den beliebtesten Weihnachts- oder Silvesterschlemmereien. Unterm Christbaum lagen damals Tamagotchis (kleine virtuelle Haustiere, um die wir uns aufopfernd kümmerten), Gameboys und Ultra Hair Barbies. Essenstechnisch ging es in den 90ern exotischer zu. Neben der Schinkenrolle mit Mayo-Erbsen-Karotten-Fülle lagen am Partybuffet auch schon mal Sushi oder spanische Tapas. Und: Fastfood eroberte die Welt. Falafel, Döner und natürlich McDonalds mit seinem Happy Meal für Kids. So global es in pikanter Hinsicht auch zuging, beim Süßen setzten wir auf den guten, alten Wackelpudding, bevorzugt in schreiendem rot oder grün. Und wir fuhren mit Rollerskates Eis schleckend in den Sonnenuntergang. Herrlich!
(29.11.2017)